Gutachten zu einem 365-Euro-Ticket für Alle vorgestellt
Die Ergebnisse des vom Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN) im Auftrag der Städte und Landkreise vergebenen Gutachtens zur Einführung eines 365-Euro-Tickets liegen nun vor. Es zeigt die Möglichkeiten auf, ob und wie ein solches Jahresticket im gesamten Gebiet des VGN realisiert werden könnte. Bei einem Pressegespräch am Freitag, 22. Oktober 2021 stellt VGN-Geschäftsführerin Anja Steidl die Inhalte und Ergebnisse der Studie vor. Die wichtigsten Fragestellungen betreffen das Nachfragepotenzial des Tickets, die Auswirkungen auf die Fahrgeldeinnahmen, die finanziellen Folgen für Städte und Landkreise sowie die Prognose möglicher Fahrgastgewinne. Erstellt hat das Gutachten das Hamburger Büro civity Management Consultants, das schon die Einführung des 365-Euro-Tickets in der Stadt Wien begleitete.
„Durch die gründliche Arbeit des Gutachterbüros und des begleitenden Arbeitskreises mit Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern liegen jetzt wertvolle Erkenntnisse vor, die für die Entscheidungsträger und die Gremien auf der politischen Ebene sowie im Verkehrsverbund von größter Bedeutung sind. Denn nun geht es um die gemeinsame Bewertung der Ergebnisse sowie die Entscheidungsfindung für den weiteren Umgang mit dem 365-Euro-Ticket“, erklärt VGN-Geschäftsführerin Anja Steidl.
Die wichtigsten Ergebnisse
Insgesamt betrachtet die Studie sieben Tarifmodelle, mit einer Gültigkeit für eine oder benachbarte Gebietskörperschaften bis hin zum gesamten VGN-Gebiet und Preisen zwischen 365 Euro und 1460 Euro. Je nach untersuchter Variante liegt die Minderung der Fahrgeldeinnahmen durch die vergünstigte Jahreskarte bei 55 bis 100 Millionen Euro pro Jahr. Denn die Modellberechnungen zeigen, dass der weit überwiegende Teil der Käuferinnen und Käufer des Tickets bereits vorhandene Fahrgäste wären, die von ihrer bisherigen Fahrkarte zur günstigeren Jahreskarte wechseln. Der berechnete Zuwachs bei den ÖV-Fahrten liegt je nach Modell zwischen 1,9 und 3,2 Prozent. Es wird dargelegt, dass der wesentliche Effekt des 365-Euro-Tickets aus den Vergünstigungen für bereits vorhandene Fahrgäste besteht. Die Rekrutierung neuer Kundinnen und Kunden sowie eine vermehrte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel fallen vergleichsweise gering aus. Vor diesem Hintergrund schlägt das Gutachterbüro vor, auch über alternative Lösungen nachzudenken. So könnten spürbare Verbesserungen im Verkehrsangebot ins Auge gefasst werden, die den Umstieg vom Pkw auf öffentliche Verkehrsmittel attraktiver machen. Auch gezielte Tarifangebote für finanziell schwache Fahrgastgruppen könnten geprüft werden.
„Wir möchten der Bewertung der Ergebnisse durch die einzelnen Städte und Landkreise nicht vorgreifen. Sie werden sich zunächst mit den Wirkungen einer Einführung eines solchen Tickets beschäftigen, auf der Nachfrageseite wie auch auf der Kostenseite. Denn letztlich wären es die Gebietskörperschaften und der Freistaat Bayern, die das Ticket dauerhaft finanzieren müssen. Wir als Verbundgesellschaft werden auf den Freistaat Bayern zugehen, um die Möglichkeiten einer Förderung zu klären. Denn es ist davon auszugehen, dass eine Finanzierung allein mit Haushaltsmitteln von Städten und Landkreisen nicht ausreichen wird“, erklärt Anja Steidl.
Aus Sicht der Verbundgesellschaft hätte eine Flatrate für den ÖPNV durchaus Vorteile. Sie würde den Menschen den Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln grundsätzlich erleichtern. Wie die Studie aber aufzeigt, wäre die tatsächliche Wirkung des Tickets auf die Nachfrage sowie auf die Wahl des Verkehrsmittels ziemlich gering. Die Tarifmaßnahme erfordert dauerhaft einen hohen finanziellen Einsatz, ohne dass dabei das ÖPNV-Angebot in seiner Substanz verbessert wird. „Die Empfehlung des Gutachterbüros, einen Mix aus gezielten tariflichen Maßnahmen sowie Verbesserungen beim Verkehrsangebot als Alternative zu prüfen, werden wir in unsere Überlegungen sicher einbeziehen“, bekräftigt Steidl. Gerade das Beispiel Wien zeigt, dass der Einführung des dortigen Tickets ein langjähriger Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und der Fahrtenangebote vorausgegangen ist. Sie wurde außerdem von restriktiven Maßnahmen für den Individualverkehr begleitet. Die erhöhten Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung und die sogenannte Dienstgeberabgabe, leisten zudem einen Beitrag zur Finanzierung des Tickets.
Die nächsten Schritte
Zunächst werden sich die Gebietskörperschaften und ihre Gremien wie auch die Verkehrsunternehmen intensiv mit den Ergebnissen der Studie beschäftigen. Sie werden dabei den Nutzen und die Kosten jeweils für sich prüfen. Dazu gehören auch die Fragen der Finanzierung sowie der Abgleich mit den verkehrspolitischen Zielen. Auch mit dem Bayerischen Verkehrsministerium wird ein Austausch erfolgen. Im Anschluss geht es darum, einen Beschluss zu fassen, der von allen Partnern im VGN getragen und umgesetzt werden kann.